Solidaritätszuschlag noch verfassungsgemäß
Der Bundesfinanzhof (BFH) hält den Solidaritätszuschlag jedenfalls in den Veranlagungszeiträumen 2020 und 2021 für verfassungsgemäß und lehnt eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ab. Nach Auffassung des BFH sind die finanziellen Belastungen, die sich aus der Wiedervereinigung ergeben, in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht durch den Solidaritätszuschlag ausgeglichen worden.
Hintergrund: Seit 1995 wird auf die Einkommensteuer ein Solidaritätszuschlag in Höhe von zuletzt 5,5 % erhoben, der den Finanzbedarf, der sich aus der Wiedervereinigung ergibt, abdecken soll. Der Solidaritätszuschlag ist keine Steuer, sondern eine sog. Ergänzungsabgabe, deren Aufkommen dem Bund zusteht. Der Bund verpflichtete sich im sog. Solidarpakt II, den Bundesländern mehr als 150 Mrd. € für die Bewältigung der finanziellen Folgen der Wiedervereinigung zur Verfügung zu stellen. Der Solidarpakt II ist Ende 2019 ausgelaufen. Seit dem Veranlagungszeitraum 2021 ist der Solidaritätszuschlag aufgrund einer Gesetzesänderung für die Mehrheit der Steuerzahler weggefallen; der verbleibende Teil der Steuerzahler wird – je nach Einkommenshöhe – teilweise oder vollständig mit dem Solidaritätszuschlag belastet.
Sachverhalt: Die Kläger sind Eheleute, die Vorauszahlungen auf den Solidaritätszuschlag für 2020 und für 2021 entrichten sollten. Die Kläger wehrten sich gegen die Festsetzung der Vorauszahlungen mit der Begründung, dass der Solidaritätszuschlag seit 2020 verfassungswidrig sei, weil der Solidarpakt II zum 31.12.2019 ausgelaufen sei.
Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage ab:
- Zwar darf unter der Bezeichnung „Ergänzungsabgabe“ keine Steuer eingeführt werden. Denn eine Ergänzungsabgabe unterliegt verfassungsrechtlichen Beschränkungen; diese Beschränkungen sind in den Veranlagungszeiträumen 2020 und 2021 jedoch beachtet worden.
- Eine Ergänzungsabgabe hat den Zweck, einen vorübergehenden, aufgabenbezogenen Mehrbedarf des Bundes zu finanzieren; sie darf also kein dauerhaftes Mittel der Steuerumverteilung sein, da ein dauerhafter Bedarf nur über eine Steuer gedeckt werden darf.
- Tatsächlich bestand in den Veranlagungszeiträumen 2020 und 2021 noch ein aus der Wiedervereinigung resultierender Finanzierungsbedarf. So betrug das Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlag im Zeitraum 1995 bis 2016 ca. 275 Mrd. €, während sich die Ausgaben des Bundes für den Solidarpakt I und II, für den „Fonds Deutsche Einheit“ und für das Defizit der Treuhandanstalt auf ca. 383 Mrd. € beliefen. Unerheblich ist, ob die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag zweckgebunden für den „Aufbau Ost“ verwendet wurden; denn die Entscheidung, wann welche Aufgaben in Angriff genommen werden, gehört zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers.
- Die Einschätzung des Gesetzgebers, es würden auch ab 2020 Mittel aus der Erhebung des Solidaritätszuschlags benötigt werden, ist daher ein geeigneter Rechtfertigungsgrund; denn der Gesetzgeber hat einen Beurteilungs- und Prognosespielraum. Unbeachtlich ist, dass ab 2021 eine Abschmelzung des Solidaritätszuschlags beschlossen wurde. Ein Zeitraum von bis zu 30 Jahren ist zwar lang, erscheint aber als ausreichend für die Bewältigung der historischen Aufgabe der Wiedervereinigung.
- Es liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz darin, dass der Gesetzgeber ab 2021 ca. 90 % der Steuerzahler vom Solidaritätszuschlag befreit hat und nur noch ca. 10 % den Solidaritätszuschlag entrichten müssen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, nur noch ca. 10 % der Steuerzahler mit dem Solidaritätszuschlag zu belasten, ist mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu vereinbaren. Dass der Solidaritätszuschlag auch auf die Abgeltungsteuer für Kapitalerträge – unabhängig vom Gesamteinkommen des Steuerpflichtigen – erhoben wird, ist im Streitfall jedenfalls irrelevant, da die Kläger keine Abgeltungsteuer gezahlt haben.
Hinweise: Der BFH geht davon aus, dass allein das Auslaufen des Solidarpakts II zum 31.12.2019 nicht zum Wegfall der Rechtfertigung des Solidaritätszuschlags geführt hat. Der Verweis des BFH auf einen Zeitraum von 30 Jahren könnte darauf hindeuten, dass der Gesetzgeber jedenfalls ab 2025 eine Aufhebung des Solidaritätszuschlags in Erwägung ziehen muss.
Das Urteil des BFH beendet die verfassungsrechtliche Diskussion über den Solidaritätszuschlag nicht, da allein das BVerfG eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit treffen kann. Es ist daher abzuwarten, ob die Kläger – wie bereits angekündigt – gegen das Urteil des BFH Verfassungsbeschwerde einlegen werden.
Hätte der Gesetzgeber statt der Ausgestaltung als Ergänzungsabgabe einfach eine Steuererhöhung vorgenommen, gäbe es wohl keine verfassungsrechtlichen Zweifel.